Ein unterhaltsamer und turbulenter Roman für Mallorcafans
Zum Lesen
aus Café con leche
von Heida Bert.....
6.
Zwei Tage später bekam Anna eine SMS. Vom Kakerlaken-Mann. Ob sie Lust hätte, nach Palma zu kommen. Er wollte sie zum Abendessen einladen, bevor er in die Schweiz zurück fuhr. Anna überlegte nicht
lange und sagte zu. Abendessen war eine unverbindliche Angelegenheit. Warum also nicht? Trotzdem dachte Anna an den Altersunterschied der sie trennte. Ihr Kakerlaken-Mann war sicher fünf Jahre jünger
als sie. „Blödsinnige Gedanken“, schalt sie sich selbst. „Ich gehe mit einem netten Mann zum Abendessen und mehr nicht. Da spielt das Alter doch keine Rolle.“ Sie ärgerte sich über den einem Teenager
würdigen Gedankesalat in ihrem Hirn. „Was, wenn sie sich verlieben würde?, Wenn schon?, „Genieß den Abend, mit allem, was er bringt?“. Anna wurde wütend. Über sich selbst. Mit diesen Gedanken im
Kopf, hatte sie große Lust, das Treffen abzusagen. Da kam ihr eine bessere Idee. Birgit musste mit. Birgit war leicht zu überzeugen. Sie liebte es, in Palma weg zu gehen und neue Leute kennen zu
lernen.
Marco konnte bei einem Freund übernachten und Anna und Birgit fuhren nach Palma, um den Kakerlaken-Mann zu treffen, der sie schon am vereinbarten Platz erwartete. Anna stellte ihm Birgit vor und die
beiden verstanden sich auf Anhieb. Anna war erleichtert. Vielleicht konnte sie ein wenig kuppeln. So wurden ihre Gedanken auf andere Bahnen gelenkt. Die beiden machten es ihr einfach. Gemeinsam
schlenderten sie durch das Altstadtviertel mit seinen vielen Bars und Restaurants und entschieden sich für die Tapas-Bar mit den großen Weinfässern. Tische waren in der beliebten Bar keine mehr frei,
so dass sich die drei an eines der großen Weinfässer stellten, die als Stehtische dienten. Anna überließ die beiden ihrem Gespräch und unterhielt sich ihrerseits mit ihren Fassnachbarn, einem
deutschen Ehepaar, das gerade ein paar Tage Urlaub auf der Insel machte. Irgendwann verabschiedete sich das Ehepaar und der Kakerlaken-Mann widmete seine ganze Aufmerksamkeit Anna. Das passierte
einfach. Nach ihrem ausgiebigen Tapasmahl beschlossen die drei, noch in eine Musikbar zu gehen. Birgit wollte zu den Brasilianern. Die anderen waren einverstanden. Dort gab es gute Musik und noch
bessere Caipirinhas.
Während Birgit an die Bar ging, um die Caipirinhas zu bestellen, rückten Anna und der Kakerlaken-Mann immer mehr zusammen. Die Salsamusik tat ihr übriges. Anna fand sich eng umschlungen tanzend auf
der Tanzfläche wieder. Eine für sie unerklärliche Magie hatte sich zwischen ihnen beiden ausgebreitet. Plötzlich wurde jede Berührung zum besonderen Erlebnis. Ein kleines flüchtiges Streicheln über
Annas Rücken verursachte einen wohligen Schauder. Anna war fasziniert. Ihr Körper entwickelte ein Eigenleben. Er suchte die Berührung. Die flüchtigen Berührungen wurden immer unflüchtiger und
gezielter. Die Salsamusik war nur noch Nebensache. Anna und der Kakerlaken-Mann waren mit sich selbst beschäftigt. Ein paar Komplimente, herrliche Streicheleinheiten und ein Kuß, bei dem sich Lippen
fanden, die Lust auf mehr hatten. Anna hatte keine Lust mehr vernünftig zu sein. Das war sie schon viel zu lange.
Birgit hatte sich an der Bar in ein Gespräch verwickeln lassen, wohl wissend, dass Anna und der Kakerlaken-Mann sie nicht vermissen würden. Plötzlich hörte sie ein Geräusch hinter sich. Zeit zum
Umdrehen blieb keine. Ein Barmann war mit einem voll beladenem Tablett im Arm ausgerutscht. Viele Gläserladungen voller eiskalter Caipirinha ergossen sich über eine vor Schreck regungslose Birgit.
Die war nun pitschnaß und sauer. Da halfen auch die Entschuldigungen seitens des unglücklichen Barmannes nicht mehr. Birgit wollte heim. Auf dem Weg zum Auto versuchte der Kakerlaken-Mann Anna zu
überreden, mit ihm ins Hotel zu kommen. „Wäre das schön“, dachte Anna und sagte nein.
Am nächsten Morgen wachte Anna früh auf und fühlte sich fantastisch. Sie sang im Bad vor sich hin und freute sich über ein strahlendes Spiegelbild. Ein seltener Moment, den sie sehr genoss, denn
normalerweise zeigte ihr der Spiegel im Bad das verschlafene Gesicht einer hoffnungslosen Langschläferin. War sie etwa verliebt? So ein leichtes Kribbeln in der Magengegend war tatsächlich da. Und
ihre Stimmung war ein eindeutiges Indiz. Trotzdem wunderte sich Anna über das schon fast vergessene Gefühl. Wie konnte das so plötzlich kommen? Ihr Körper reagierte verliebt und ihr Kopf war es
nicht. Der Kakerlaken- Mann flog heute in die Schweiz zurück und Anna fühlte sich gut. Merkwürdig leicht, dabei müsste sie der Gedanke, ihn vielleicht nie wieder zu sehen, traurig machen. Tat er aber
nicht. Anna entdeckte eine ihr bisher unbekannte Form des Verliebtseins. Sie hatte sich spontan fallen lassen und den sich bietenden Moment gelebt, ohne sich bereits Gedanken um den nächsten Moment
zu machen. Ein völlig neues Gefühl für Anna. Sie erwartete keinen Anruf von ihm und ersparte sich dadurch das stundenlange Warten auf das Klingeln des Telefons. Weil Telefone, die klingeln sollen,
die Eigenschaft haben, diese Erwartung mit ausdauernder Stummheit zu beantworten, belohnte Annas Telefon mit einem lauten Klingeln ihre Erwartungslosigkeit. Ein leichtes Herzklopfen spürte Anna
schon, als sie den Hörer ab hob. Es war nicht der Kakerlaken-Mann. Conde meldete sich nach einem monatelangen Schweigen wieder zu Wort. Und das, als wäre nichts gewesen. Da war auch nichts. Aber
gerade deshalb war diese Schweigezeit so unnötig, dass Anna sie weder verstanden hatte noch gewillt war, sie gut zu finden. So großzügig war sie nicht. Als hätte der Conde es gespürt, dass er Gefahr
lief, aus Annas Denken gestrichen zu werden, hatte er ihre Nummer gewählt. Da war er nun in der Leitung. Nach einem kurzen Zögern entschied sich Anna, seine Unbefangenheit zu bewundern und sich über
seinen Anruf zu freuen. Conde war wohl etwas überrascht, eine völlig unbefangene Anna am Telefon zu haben, der sein monatelanges Schweigen offensichtlich völlig egal war. Er wollte wissen wie es ihr
gehe und meinte, sie höre sich glücklich an. „Das bin ich auch“, bestätigte Anna. Conde wurde hellhörig. Ob es bei Ihr etwas Neues gäbe, wollte er wissen. Anna musste schmunzeln. Das war wieder
typisch Conde. Mit Sicherheit hatte sich in seinem Leben in den letzten Monaten mehr ereignet als in Annas. Als arbeitende Vollzeitmami blieb wenig Zeit zum Erleben erzählenswerter Neuheiten. Conde
hatte es da besser. Als attraktiver Single mit einem Job, der ihn auf den Inseln herumreisen lies, waren die Rahmenbedingungen für erzählenswerte Neuheiten ideal. Doch Anna wollte sich keine Blöße
geben und verspürte noch weniger Lust, mit ihrem Privatleben aufzutrumpfen. „Klar gibt es viele Neuheiten“, kündigte sie an. „Ich habe einen neuen Wischmopp mit einer Superwischfaser gekauft. Die
Vorhangstange in meinem Schlafzimmer ist wieder heruntergefallen und mein Auto hat seit einem halben Jahr keinen TÜV mehr.“ Sie hörte Condes Lachen am anderen Ende der Leitung. „Anna, du hast dich
nicht verändert“, seufzte er. „Weshalb sollte ich“, gab diese leicht pikiert zurück. Der Mann brachte es doch immer wieder fertig, sie zu reizen. Da schützte sie selbst ihre heutige gute Laune nicht
davor. „Wie gehen deine Geschäfte“, lenkte sie das Gespräch auf eine neutrale Ebene. Nun war es der Conde, der ernst wurde. „Da hatte ich mir mehr erhofft. Es ist so zäh und ich bin es müde, ständig
irgendwelche Zahlungstermine vor mir herschieben zu müssen.“ Das hörte sich nicht so gut an. Anna wusste, dass er sein ganzes Erspartes in ein Geschäft gesteckt hatte mit der Hoffnung, dieses zu
seiner Ertragsquelle zu machen. Das hatte sich nicht so entwickelt und Conde arbeitete nebenbei noch im Vertrieb einer anderen Firma, um die Rechnungen seiner eigenen Firma begleichen zu können. Das
tat Anna leid, denn Conde war kein leichtfertiger Mensch und arbeitete hart. Sie hätte ihm mehr Erfolg gewünscht. Dennoch tat dies seiner Attraktivität keinen Abbruch. Obwohl er sich immer wieder
über die dunklen Ringe unter seinen Augen beschwerte, blitzten seine hellen Augen in allen Schattierungen und zogen die Menschen in seinen Bann. „Gehen wir Morgenabend zusammen essen“, riss sie der
Conde aus ihren Gedanken. Anna war überrascht. Bisher war Conde ab und zu spontan vorbei gekommen. Sie hatten zusammen ein Bier getrunken und geplaudert. Dazwischen gab es ein paar Telefonate. Nun
sollte es auf einmal ein Abendessen sein. Anna fand den Gedanken, einen ganzen Abend alleine mit Conde zu verbringen, spannend. Er war einer der wenigen, der sie nicht langweilte. Bei Conde wusste
man nie, was im nächsten Augenblick kommen würde. Sich mit ihm zu unterhalten machte Spaß, auch wenn sich Anna von ihm verbal des Öfteren in die Enge gedrängt fühlte. Das verstand er prächtig. Er
hatte eine Art sich auszudrücken, die Anna immer wieder begeisterte. Anna sagte zu.
Elegant wie immer, stand Conde am nächsten Abend vor Annas Tür. Seine Augen blitzten Anna an, die in einem hellen Minikleid vor ihm stand. Conde war ein Meister des Komplimentemachens und Anna genoss
seinen Kommentar über ihr hellrosa und blau schimmerndes kurzes Sommerkleid sichtlich. Hatte sie doch die letzte Stunde auf der Suche nach einem passenden Kleidungsstück vor ihrem Kleiderschrank
verbracht. Nach fünfmaligem Umziehen hatte sie sich doch für ihre erste Wahl entschieden. Das kurze Kleid betonte ihre schlanke Figur und ihre langen, sonnengebräunten Beine.
Beschwingt setzte sie sich in Condes Auto. Ihr Herz klopfte spürbar. Das lag wohl kaum an Herumrennen der letzten Stunde. Anna wunderte sich. Jetzt verursachte der Conde bei ihr schon Herzklopfen.
Das war neu. Anna betrachtete ihn verstohlen von der Seite. Er hatte ein tolles Profil. Ein rundum attraktiver Mann. In seinen früheren Jahren hatte Conde viel Sport gemacht. Eine seiner
Leidenschaften war Segeln. Anna bedauerte in diesem Moment, Conde nicht schon vor zehn Jahren kennen gelernt zu haben. Da hätte vieles gepasst. Nun waren sie beide an einem Punkt in ihrem Leben
angelangt, der romantische Träume auf dieser Ebene kompliziert machte. Conde hatte seine Familienplanung abgeschlossen. Aus seiner ersten Ehe hatte er vier erwachsene Kinder. Anna hätte ihre Familie
gerne aufgestockt. Ein paar Kinder mehr, hätten ihr gut gefallen. Conde hätte eine Idealbesetzung sein können. Vor zehn Jahren. Heute leider nicht mehr. Weder war Anna es für ihn noch er für Anna.
Vielleicht lag es daran, dass sich die beiden gegenseitig anzogen. Erwartungen und Träume hatten in dieser Bekanntschaft keinen Platz. Deshalb spielte alles in der Gegenwart. Unbefangen und ohne
Risiko, die Zukunft zu beeinflussen, denn für die sahen beide getrennte Wege.
Entspannt scherzten die beiden im Auto. Anna fragte nicht, wohin sie fuhren und Conde verriet nichts. Er lenkte sein Auto nach Palma. Sie fuhren durch das Zentrum in Richtung Meer. Kurz vor der
Hafenstraße lenkte er sein Auto in eine dieser engen Altstadtgassen hinter der Kathedrale. Anna war selten dort. Mit dem Auto schon gar nicht, nachdem sie bei einer Gelegenheit mit ihrem Auto in
einer der engen Gassen so feststeckte, dass sie sich in mühevoller Lenkarbeit wieder frei fahren musste. Das hatte ihr gereicht. Sie nahm nun lieber einen längeren Fußmarsch in Kauf, um ein Ziel in
der Altstadt anzusteuern und ließ ihr Auto in einer der Parkgaragen im Außenbereich.
Anna versuchte sich den Weg zu merken. Die Gassen sahen für sie alle gleich aus. Schmal, von hohen alten Häusern gesäumt, die in Zeiten gebaut worden waren, als es noch keine Autos gab. Anna war
gerne in der Altstadt. Hier konnte man noch kleine Geschäfte mit dem Charme vergangener Jahrzehnte finden, die von Generation zu Generation weiter vererbt wurden. Conde suchte einen Parkplatz. Das
war nicht so einfach. Die kleinen Plätze, in die die engen Gassen alle paar Kurven weit mündeten, waren nicht groß genug, um vielen Autos Platz zu bieten. Eine Handvoll parkender Autos reichte aus,
um so einen kleinen Platz zu füllen. Der erste kleine Platz, auf den sie kamen, war voll. Der zweite auch. Dann war es dem Conde zu weit. Wenn er schon mit dem Auto unterwegs war, hatte er keine Lust
zu Fuß zu gehen. Sie fuhren über andere Gassen wieder zurück. Anna kannte sich schon längst nicht mehr aus. Nach zwei weiteren Runden schnalzte Conde zufrieden mit der Zunge. Da war er, ihr
Parkplatz. Soeben frei geworden und fast direkt vor der Tür von ihrem Restaurant. Conde konnte Annas Vorlieben gut einschätzen. Das Restaurant war ganz in Annas Sinne. Klein und gemütlich. Mit
kleinen Tischen, die auf zwei Ebenen verteilt waren. Weinregale an den Wänden und viele Bilder lieferten die Dekoration. Aus der winzigen Küche gegenüber dem Eingang auf der anderen Seite des
Gastraumes zischte und dampfte es. Ein köstlicher Geruch empfing sie zusammen mit Pepe, dem Besitzer des Restaurants. Anna vertraute dem guten Geschmack ihres Begleiters. Pepe brachte einen Teller
nach dem anderen an ihren Tisch. Alles schmeckte fein. Am allerfeinsten schmeckten die gerösteten, hauchdünnen Artischokenscheibchen. Conde schaute sie erwartungsvoll an. Blitzschnell drückte ihm
Anna einen Kuss auf die Wange und bedankte sich für das schöne Essen. Die hellen Augen von Conde blickten sie durchdringend an. Und kamen näher. Ganz langsam. Wie hypnotisiert fixierte Anna die
hellen Augen und rührte sich nicht. Das war sein Augenblick. Der Conde kostete ihn voll aus. Erst kurz bevor sich ihre Lippen berührten, umfasste er sanft Annas Kopf. Er wollte sie küssen und Anna
ließ es zu. Sie fand es schön, seine Lippen auf den ihren zu spüren. Seine Lippen waren fest und strahlten Kraft aus. Anna erwiderte seinen Kuss. Dann fanden sich ihre Augen für einen ganz tiefen
Augenblick. Der dauerte nur wenige Sekunden, denn schon lachten beide los. Sie hatten dieselben Gedanken, bei denen es um eine Kussszene in einem Filmklassiker ging. Das war Conde. Mit ihm konnte
Anna lachen. Statt nun ihre eigene Kussszene mit ernsten Gesprächsthemen und leichter Verlegenheit zu füllen, scherzten Conde und Anna gutgelaunt über alles Mögliche und Unmögliche. Trotzdem entging
Anna nicht, wie Pepe dem Conde zuzwinkerte. Hatte Conde womöglich Übung im Frauen verführen? Klar hatte er die! Conde war sich seiner Wirkung genau bewusst. Er überließ nichts dem Zufall. Da musste
jede Menge Erfahrung dahinter stecken, vermutete Anna. „Na und wenn schon“, dachte sie. „Jetzt spiele ich einfach ein bisschen Favoritin.“